Die Sonne muss wohl kaputt sein. Jedenfalls will und will sie nicht aufgehen.
Der schneidend kalte Nachtwind riecht nach Norden.
Ich winsele leise und lecke Ninas Ohrmuschel aus, um mich zu beruhigen. Ninas Ohr ist schon sehr sauber.
Das Dezembermeer hat aus unserem Platz unter der Seebrücke einen Eispalast gemacht. Die Weihnachtsbeleuchtung lässt die Eiszapfen glitzern und funkeln. Sogar Ninas Haare, die aus dem Schlafsack hervorgeschaut haben, hat die Nacht glasiert.
Ich schiebe mich mit der Schnauze voran in unseren Schlafsack. Es riecht wie im Paradies, scharf und vertraut. Ich lecke an Ninas Händen. Nina ist mein Mensch. Sie nennt mich »mein kleiner Schatz«, mit hoher Singstimme. Sie singt nur für mich. Ich bin voll von ihr, jede Erinnerung, jedes Glück hat mit Nina zu tun. Ohne sie bin ich nichts.
Ich rolle mich in ihrer Halsbeuge zusammen. Ich warte. Der Himmel färbt sich graurosa. Es fühlt sich zu spät an. Ich denke daran, was Nina gesagt hat: Dass ich mich hüten soll, vor Polizisten und Hundefängern. Auch vor den Heuchlern vom Tierschutzverein. Ich habe gedacht, dass Nina ihren Frieden mit der Welt noch nicht gemacht hat.
Oben auf der Strandpromenade öffnet der Zeitungskiosk. Ich höre leise Weihnachtsmusik. Möwen und Krähen streiten um halbe Döner und Fischbrötchen, die sie aus den Mülleimern gefleddert haben. Manchmal ist ein Stück Nackensteak dabei. Auch für Nina und mich sind das Leckerbissen. Nette Touristen deponieren sie jeden Tag für uns im Müll.
Mein Bauch tut weh vom Hunger. Vielleicht kann ich den Vögeln was abluchsen. Ich stehe vorsichtig auf, gähne und strecke mich. Mein Fell ist harsch und struppig, aber meine Zähne sind spitz. Ich bin klein und flink. Vielleicht finde ich einen gefrorenen Wurstzipfel, der Nina wieder gesund macht.
Der Sand ist überfroren. Ich laufe mit spitzen Pfoten. Das Palace Hotel thront weiß und leuchtend über dem Strand wie eine Luxushundehütte oder ein Schloss aus dem Märchen. Rechts und links der Freitreppe glitzern goldene Weihnachtsbäume. Nordmann. Ich hebe die Nase und wittere unter dem Tannenduft das Frühstücksbuffet.
Plötzlich sehe ich das Windspiel. Es schimmert elfenbeinweiß im Morgenlicht. Und wie es riecht – nach Wärme und Federbetten! Hochläufig und schlank federt es über die Promenade, schnell wie ein Gepard, die Ohren seidig, die Augen seelenvoll – eine Jägerin mit weichem Maul.
»Bella!«, ruft ein Herr von der Hotelterrasse. In seiner Hand duftet ein Stück Filet, rosa und zart wie eine Welpenzunge.
Ich muss wohl träumen. Mein Blick verschwimmt, ich lecke meine Schnauze, damit der Speichel nicht in den Barthaaren gefriert. Ich setze mich. Meine Beine zittern. Meine Rute wackelt los, ganz von allein.
Bella fliegt an mir vorbei wie ein Engel, mit bebenden Flanken die Stufen zum Hotel hinauf. Seelig sauge ich ihren Duft nach warmer Milch auf wie ein Geschenk.
Etwas packt mich aus hart im Nacken. Reißt mich hoch. Ich jaule auf. Schnappe um mich. Scharfer Geruch nach Schmauch und Waffenöl. Eine dunkelblaue Uniform. Jetzt ist alles aus.
»Keine Leine«, schnarrt der Polizist in Richtung des Herrn. Er hält mich am ausgestreckten Arm wie ein Bündel Schmutzwäsche. »Keine Hundemarke. Gehört der Hund zu Ihnen?« Nein!, will ich schreien. Natürlich nicht! Nina! Hilfe! – Und ich schreie auch, nur die Wörter kann ich nicht so herausbringen, weil mir mein eigenes Gewicht den Hals abschnürt. Nina hat nicht trotzdem immer verstanden. Loslassen! belle ich. Aber das Zappeln tut weh. Ich mache ich mich steif und schwer.
Der Herr kommt die Hoteltreppe herunter. Bella trabt ruhig neben ihn. Ich keuche. Ich hänge da wie ein Idiot.
»Natürlich gehört der zu mir«, sagt der Herr und streckt seine Pianistenhände nach mir aus. »Ich habe ihn neu. Entschuldigen Sie bitte die Umstände.« Der Herr riecht gut, nach Seife und Tabak. Ich knurre trotzdem.
Seine Hände sind überraschend warm.
»Geben Sie meinen Hund her, Mensch!« Plötzlich ist sie da – Nina! Mein Herz glüht auf. Sie ist ganz grau, ganz unscharf neben dem Polizisten. Sie hustet, kann kaum stehen, aber sie reißt mich von dem Herrn weg und an sich. Ich fiepse, ich pullere, ich kralle mich an ihrem Schal fest und wasche ihr schnell das Gesicht. Wir müssen doch ordentlich aussehen.
Der Polizist schnaubt misstrauisch. Bella fletscht die Zähne und knurrt in seine Richtung.
»Es ist alles in Ordnung«, sagt der Herr. Er sagt es so endgültig, wie nur ein wirklicher Herr es sagen kann. Da tippt sich der Polizist an die Mütze und zieht Leine.
Nina hustet und sinkt sich auf eine Promenadenbank. Ich klettere auf ihre Schulter. Das mache ich manchmal, wie ein Papagei. Ich versuche, ihre Haare aufzutauen. Ihre Haare schmecken nach Räucherfisch.
Nina schaut den Herrn so von unten an. Den Dackelblick habe ich ihr wirklich beigebracht. Der sitzt zu 100 Prozent. Ich wünsche mir plötzlich, dass Krähen und Möwen an diesem Weihnachten die Promenadenmülleimer ganz für sich alleine haben dürfen.
»Das war knapp.« Der Hotelbesitzer nimmt Ninas Arm. »Kommen Sie. Ins Warme.« Er lächelt, und Nina lächelt zurück. »Ich lade Sie und Ihren Hund zu unserem Weihnachtsbrunch ein. Heißer Zimttee und Bratwurststerne. Danach stelle ich Sie meinem Bruder vor. Der ist Arzt.«
Der Herr hat ganz tiefe Lachfältchen. Und plötzlich weiß ich, dass die Sonne nicht kaputt ist. Sie geht heute nur nicht über dem Meer auf.
Das ist ein wirkliches Weihnachtsgeschenk, etwas Wärme und vor allem Menschlichkeit. Als ich die Geschichte las, kamen mir die Tränen, bin ein Tierfreund, habe leider keine Familie mehr.
Man ist in diesen Zeiten empfindlich.
Vielen Dank und weiterhin einen guten Daumen beim schreiben.
Vielen Dank für diese lieben Worte, die einem wirklich mal guttun. Die allgemeine aggressive Grundstimmung belastet mich wirklich, deshalb: Vielen herzlichen Dank und ein gesundes Neues Jahr nachträglich!