Freitag, 26. Juni 2015: Weltpremiere

.Featured image.. meine erste Solo-Lesung aus „Machtfrage“:

19:00 Uhr, Buchhandlung Leseratte in Falkensee

Spandauer Straße 188

14612 Berlin

http://www.leseratte-falkensee.de

Wird es der „Auenwehr“-Stiftung gelingen, den Ex-RAF-Terroristen Michael Glass von einem Anschlag auf die Berliner Reichstagsbaustelle abzuhalten?

Natürlich signiere ich Eure Bucheinkäufe

Eintritt EUR 3,00

 

Give Nic A Chance

Featured image

ACHTUNG – massive Spoiler –

New Orleans. Ultrastarker Einstieg: „Der Arzt hat Bilder von meiner Lunge gemacht. Die sind voll Schneeflocken.“ Damit ist die originelle Ausgangssituation schon klar, die Nic Pizzolatto hier aufmacht: Der bezahlte Schläger und Killer Roy Cady, 40, geht zum Arzt und erfährt: Lungenkrebs. Er stellt fest, dass er niemanden hat, dem er davon erzählen kann. Alle Lieben sind verloren, und aus reiner Sentimentalität macht er sich auf nach Galveston, wo er sich mal mit einer Frau namens Loraine eine Nacht lang am Strand unterhalten hat, „Von dort, wo wir gesessen hatten, hatte man den dichten weißen Rauch der Ölraffinerien sehen können, der sich in der Ferne nach oben geschraubt hatte wie eine Straße, die in die Sonne führt.“ Dreimal hatte in einem Satz, dass man es fast überliest, liegt an dem fantastischen Bild. Also, der Spannungsbogen steht. Auf dem Weg aus der Stadt erledigt Roy noch einen Job, es kommt zu einem Blutbad und ehe er sich versieht, hat er die junge Nutte Rocky am Hals bzw. im Auto. Sie fahren Richtung Texas. Rocky überredet Roy, zuvor noch bei ihrem Vater vorbeizufahren, um ihre verwahrloste kleine Schwester dort abzuholen. Rocky erschießt ihren Vater. Wie sich später herausstellt, ist ihre vermeintliche Schwester ihre Tochter. Ab geht’s Richtung Texas. Die Spannung zwischen Roy und Rocky ist mit Händen zu greifen. Er wehrt sich, ist resigniert und will wohl auf den letzten Metern seines Lebens anständig bleiben. Rocky glaubt, sie schulde ihm etwas. Roy gibt sich als der Onkel von Rocky und dem kleinen Mädchen aus. Sie mieten sich in einem billigen Motel in Galveston ein.  Bis zu diesem Zeitpunkt hat mich die Geschichte total mitgerissen.

Und dann kommt Seite 67. HELL IS REAL, wie es an anderer Stelle im Buch heißt. Denn der Autor macht einen Zeitsprung von zwanzig Jahren. Und siehe da: Roy lebt noch, Rocky nicht.

Wie kann man soetwas machen? Für mich der SUPER Spannungskiller. Ich habe nur wegen der Sprache weitergelesen, denn Roy denkt gleich zum Einstieg: „Manche Erfahrungen überlebt man nicht; selbst, wenn man es schafft, nicht dabei draufzugehen, stirbt etwas, und man hört auf, ein intaktes Wesen zu sein.“ Dann folgen die letzten zwanzig Jahre als Mega-Rückblende.

Ich hatte jedenfalls trotzdem erstmal einen Leseabbruch, legte eine Lesepause von vier Monaten ein. Dann gab ich dem Nic noch eine Chance. Und es war okay, jetzt war er halt auf „Wie“-Spannung umgeschwenkt – das heißt, der Leser sollte sich wohl fragen „Wieso lebt Roy noch und Rocky nicht?“. Sprachlich ist das an einigen Stellen überragend:

„Seine Haare waren länger nicht geschnitten, er trug ein Feinrippunterhemd Marke Frauenverprügler, miefende Jeans, die fast von seiner Kanonenkugelwampe gesprengt wurden, die seinen Rücken nach innen wölbte.“

„Flüssiger Mut, Schnapslogik. Irgendwo habe ich einmal gehört, Schweinswale würden mitunter Selbstmord begehen, aber ich weiß nicht mehr, warum mir das durch den Kopf schoss.“

„In dieser Haltung beobachtete mich das Mädchen wie eine Gottesanbeterin, während der leichte Regen am Fenster aufschlug und herunterrann. Ich bekam das Gefühl, als würde etwas Gewaltiges über mich zu Gericht sitzen.“

Kurz gesagt: ein cooles Buch. Nach Seite 67 dominierte für mich der Genuss einer melancholische Schönheit in der Sprache.  Im Klappentext heißt es, Roy sei ein Antiheld, der im Scheitern zu wahrer Größe findet.  Ich glaube eher, dass Roy sich selbst nicht mehr aushält – verständlich, denn nüchtern betrachtet hat ein Syndikats-Killer im Leben wohl mehr Schaden angerichtet als erreicht. Stichwort Klappentext. Was ich noch ärgerlich finde: Auf der vorderen Klappe heißt es, „im Stil eines klassischen Krimi Noir“ und „belebt das Genre des Krimi Noir“. Hintere Klappe: „“Virtuos, geschmeidig, großes Krimihandwerk, philosophisch auf der Höhe der Zeit“ – Deutschlandfunk“ Die Macher dieses Buches und auch die Rezensenten wissen es besser: In diesem Buch wird kein Stück wegen der zahlreichen Morde ermittelt. Es kommt überhaupt kein Ermittler vor. Niemand schert sich einen Dreck darum, warum dieser oder jener tot vom Tisch hängt. Und somit ist es kein Krimi. Aber (merke!): Krimi = Auflage, Leserinteresse, Massenmarkt, Geld. Das Etikett hätte das Buch nicht nötig gehabt.

Für mich ist die Rückblende trotzdem ein dramaturgischer Fehlgriff. Warum macht der Nic das? Wenn er alles auf live gelassen hätte, wäre es ein Opus Magnum gewesen, mit der nicht zu übersehenden Message ebenfalls auf Seite 67: „Du bist erst du, wenn du tot bist. Aber ich lebe noch.“ Ein Krimi wäre es dann noch immer nicht. Aber auch so ist es ein tolles Buch – über Abgründe (menschliche, männliche, amerikanische), über Läuterungen und über „die Dynamik des gewaltsamen Todes“, wie der Übersetzer Gunter Blank im Nachwort schreibt. Die Einsamkeit des Protagonisten macht es aus meiner Sicht eindeutig zu einer Story aus dem Noir-Universum, einem Genre, dass es laut Blanks Zitat des Film-Theoretikers Steve Neale überhaupt nicht gibt. Weil es sich der Definition entziehe. Dem Bauchgefühl aber nicht. Bitte lesen Sie es trotzdem. Give Nic a chance. Schon wegen der Weisheit des Endes.

Super finde ich die Intentionen der Herausgeber: Go, Metrolit, go!

http://www.amazon.de/Galveston-Nic-Pizzolatto/dp/3849300978

Totensonntag

Featured imageHier ein Kurzkrimi, den ich für einen Schreibwettbewerb geschrieben habe. Gleichzeitig eine der ersten Manifestationen eines Noir-Detektives in meinem Universum Genau wie bei Raymond Chandlers ersten Geschichten mit einem hartgekochten Detektiv (siehe „Killer In The Rain“) hat der Held keinen Namen, weist aber alle Merkmale eines genretypischen Helden auf.

Für Mitte Januar war es eine ziemlich schöne, unfeierliche und gut durchgelüftete Beerdigung gewesen. Kurz nach ein Uhr mittags hatte sich der Sargdeckel für immer über Moppy Strawinskys bleich glänzender, pockiger Visage geschlossen. Als die Tür der Kapelle hinter mir zufiel, wehte mich so etwas an. Ich stamme hier aus der Gegend, in Moabit geboren, beide Eltern tot, keine Geschwister, und sollte es mal so weit kommen, dass ich in einer dunklen Gasse um die Ecke gebracht werde, wie es in meinem Beruf ja jedem passieren kann und vielen Leuten in jedem Beruf oder Nicht-Beruf tagtäglich passiert, dann wird kein Mensch das Gefühl haben, dass seinem beziehungsweise ihrem Leben der Hauptzacken aus der Krone gebrochen wäre.
Moppy war ein Zugereister aus Bad Waldbröhl, aber er hatte in der Stadt eine beachtliche Karriere gemacht. Ich kannte mich aus mit den Brüdern. Keiner hatte erwartet, dass Moppy zum Kandidaten für Germanys Next Joopi Heesters avancieren würde. Nun hatte ihm jemand einem mörderisch harten, roten Plastikpepperoni Made in Taiwan in die Luftröhre gerammt – originell und standesgemäß für den wenig populären Pizza-Paten von der Friedrichstraße.
Also hatte ich mich in Schale geschmissen, beim Pakistani an der Ecke die Nasenhaare rasieren lassen, den Hut aufgebürstet, den uralten schwarzen Maßanzug aus der Reinigung geholt und im Foyer des schicken, teuren, spanischen Hotels am Spreeufer ein paar Minuten unauffällig genug herumgelungert, um die Schuhputzmaschine benutzen zu können. Ich sah aus wie ein Schnüffler aus dem Samstag-Abend-Programm, aufpoliert wie ein Dobermann, melancholisch wie ein Mops mit Strasshalsband.
Moppys Vermächtnis an Berlin bestand aus zwei hübschen, wilden, mutterlosen Töchtern, die bauchfrei und schluchzend an seinem Grab herumtänzelten. Beim Defilee nötigte mir die Blonde ihre Telefon-Nummer auf, ich nahm sie, gab ihr meine Karte, was eigentlich gar nicht mein Stil ist. Aber da war etwas in ihren Augen, dass ich noch bei keiner anderen Frau gesehen hatte. Sie war hart und sauber und kalt und versprühte soviel Partyspaß wie Eis in ’nem Cocktailshaker.
Das schlug mir auf den Magen. Ich fuhr direkt in meine Stammkneipe, setzte mich zum Frühstück an den Tresen, Orangensaft, Rüherei mit Speck, drei Tassen Kaffee, ein Zahnstocher. Der Himmel über der Stadt war dunkelgrau, mit tiefhängenden Wolken und der Aussicht auf noch mehr nassen, schmutzigen Schnee. Ich überlegte gerade, was für ein beschissenes Leben das doch war, und ob es wohl noch genauso beschissen wäre, wenn ich ein paar doppelte Scotch intus hätte, als das Telefon hinter dem Tresen klingelte. Der Wirt grunzte in den Hörer, dann hielt er ihn mir hin.
„Hm?“
„Warum zum Teufel hast du dein Handy nicht an?“
Die Stimme der Vernunft. Sie gehörte dem Chef. Der war wach wie ’n Vorstehhund beim Hallali und schon wieder 100% im Dienst. Ich sah seinen kahlen, rotglänzenden Schädel vor mir, runder und praller als ’n Buzzer inner Mittwoch-Vormittags-Gameshow.
„Weil Sonntag ist, Klugscheißer“, antwortete ich.
Er holte so tief Luft, dass ich den Sog am meinem Ohr spüren konnte. Mein Ohrläppchen flattere. Vielleicht nicht ganz die richtige Ansprache.
„Sorry“, ergänzte ich. „Chef-Klugscheißer.“
Eigentlich war das mit dem heiligen Wochenende eine Ausrede. Die Wahrheit war: Ich hasste Handys. Manche bekamen das heulende Elend von Alkohl oder Frauen. Ich bekam es von Handys. Sie machten mich krank.
„Wir haben eine Leiche.“ Der Chef keuchte, als würde er zu Fuß den Fernsehturm rauflaufen und dabei ’ne Partie Taschenbillard spielen.
Ich klemmte den Hörer gegen meine Schulter und klopfte ein Zigarillo aus der Schachtel.
„Wo?“, fragte ich.
„Schwimmt im Tegeler Fließ, hinter dem Arbeitsamt. Ein Busfahrer hat sie entdeckt, als er pinkeln mußte. Sie war noch nicht mal richtig kalt.“
Ich inhalierte den scharfen, süßlichen Rauch, während die Szenerie vor meinem geistigen Auge erschien. Für eine junge, unfertige Stadt wie Berlin war Tegel regelrecht ein Idyll, vor allem an einem weichgespülten Wochenende wie diesem. In jedem anderen Bezirk würde man in die zentralen Baulücken Spielhallen oder Drogendiskos bauen, in Tegel baute man Altersheime mit Rosengärten und Treppenlift.
„Was hat das mit mir zu tun?“, brummte ich. Die Sache gefiel mir nicht. „Ich bin doch an Moppy dran.“
„Nicht mehr. Moppy ist passé.“
„Auch gut.“ Ich beobachtete mich selbst in dem Spiegel hinter dem Flaschenregal und dachte wieder an einen Drink. „Dann kann ich ja ins Wochenende gehen.“
„Das könnte dir so passen. Nein. Verkrümeln ist nicht. Beweg deinen Arsch her. Die Leiche hatte offenbar heute noch was vor.“
„Mir egal.“
„Sie hatte deine Nummer im Handydisplay.“ Es klang schadenfroh. „Der Staatsanwalt glaubt, jetzt hat er dich endlich an den Eiern.“
In dem Moment wusste ich wieder, warum ich Handys so hasste. Ich knallte den Hörer auf die Gabel.
Unten am Flies war bereits die ganze Bagage aufmarschiert. Die Leiche war natürlich Colleen Strawinsky. Sie lag bleich und falsch im Scheinwerferlicht wie eine Schaufensterpuppe beim Umdekorieren, eine sehr lockere Welle ihres weich glänzenden, blonden Haares wehte im eisigen Wind. Sie schien zu lächeln. Ich hockte mich hin. Algen hingen in ihren Kleidern wie tagliatelle verdi über ’ner Portion frutti di mare. Ich brauchte ein paar Versuche, um mein Zigarillo anzuzünden.
„Du siehst aus wie’n verdammter Heiratsschwindler.“
Dem Chef fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ich schob mir den Hut in den Nacken. Klar, er hatte keinen Maßanzug, dafür drei anspruchsvolle Gören. Nicht alleine seine Schuld, aber verdammt öde auf Dauer.
„Was ist schiefgelaufen?“, fragte ich.
„Offenbar etwas, das in der Familie liegt.“ Der Chief hielt eine durchsichtige Tüte hoch. Sie enthielt ein rotes Plastikpepperoni, dem grünliche Verdauungsrückstände anhafteten.
Ich spuckte aus. „Pfui Teufel.“
„Ach, und noch was.“ Der Chef klemmte sich den Kugelschreiber hinters Ohr und wies auf seine Papiere. „Sie ist ’nen Kerl. ‚Ne Tunte. Aber gut gemacht, was?“
Plötzlich fühle ich mich irgendwie alt und verschlissen. Weil ich noch in der Hocke saß, warf ich rein dienstlich einen Blick unter ihren Minirock. Und da war von „gut gemacht“ keine Spur. Colleens primäre Geschlechtsmerkmale waren so unauffällig wie ’ne Tarantel auf einem Milchbrötchen. Es war Sonntag, ich war nicht im Dienst und hatte statt zweier Scotch schon zwei Leichen intus. Ich hätte mich großartig fühlen müssen, aber mein Selbstbild als scharfer Hund wankte wie’n Welpe beim Pinkeln: Das Luder hatte mich gelinkt.

 

Mein erstes Interview

Spannende Fragen haben sich Sarah und Rahel von Clue Writing für das erste Interview meines Lebens ausgedacht.

Hier eine Kostprobe:

„Zu guter Letzt wollen wir es aber doch noch ganz genau wissen. Du stehst in einem verlassenen Gebäude im Schatten, hältst deine Neun-Millimeter-Pistole umklammert, während sich ein zwielichtiger Kapitalist und ein RAF-Terrorist mit gezogenen Waffen gegenüberstehen. Es bleiben dir nur wenige Atemzüge, dich zu entscheiden, ob du jemandem helfen willst und wenn ja, wem. Was tust du?

Ich halte es mit Professor Johannson aus der »Machtfrage«: »Gewalt ist kein legitimes Argument«, sagt er. »Niemand darf die Erfahrung machen, dass er mit Gewalt etwas bewirken kann.« Also sichere ich meine Knarre, stecke sie in den Hosenbund und gehe. Als ich draußen in meinen Wagen steige, höre ich zwei Schüsse. Alles im Leben gleicht sich irgendwie aus, denke ich. Ich lege den Tag beiseite wie einen alten Aktendeckel, fahre in die Stadt und kauf mir ein Spaghettieis. Mit Himbeersoße.“

Das komplette IntervFeatured imageiew:

http://www.cluewriting.de/clue-writing-interview-bettina-kerwien/#more-3812

Vielen herzlichen Dank an Clue Writing für diese tolle Erfahrung!

Wer bei meiner Leserunde auf Lovelybooks mitmachen möchte, kann sich bis morgen noch bewerben:

http://www.lovelybooks.de/autor/Bettina-Kerwien/Machtfrage-1134913630-w/leserunde/1154985002/

Der Verlag stellt 20 Bücher zur Verfügung, die Ihr gewinnen könnt!

 

Aus seinen Nüstern dringt Atomstaub: Jack Laidlaws Glasgow

Ein Featured imageliterarischer roman noir mit einem hartgekochten Held: Das ist William McIlvanneys Krimi nur auf den ersten Blick. Denn sein Detective Jack Laidlaw ist ein komplexer Mann. Er liebt Kinder, haßt seinen Chef und fährt mit dem Bus. Er weiß nicht, ob er seine Ehe retten will. Aber er spielt die Glasgower Unterwelt wie eine Stradivari.  McIlvanneys Prosa erinnert nur manchmal und dann scheinbar beiläufig an Raymond Chandlers freche Metaphern:

„Die Spinnen waren die schlimmsten, große haarige Biester, mit mehr Beinen als eine Truppe Revuetänzerinnen.“

„So wie sein Gesicht von einer Wunde beherrscht wurde, einer Narbe mit Gesicht drum herum, so war sein Charakter eine reflexhafte Reaktion auf das, was er durchgemacht hatte.“

„Man sollte um ihn herum weiträumig absperren. Aus seinen Nüstern dringt Atomstaub.“

 „Ein dichter Haarteppich zog sich über seine Brust, auf der ein Medaillon prangte, das der Queen Mary als Anker hätte dienen können.“

Manchmal zeichnet der 79jährige Autor so illusionslos schöne Millieustudien, dass man nicht nur denkt: ja, klar. Kenn ich. Sondern dass man auch heulen möchte:
„Auf der anderen Straßenseite ging plötzlich die Tür des „Corn Exchange“ auf und ein kleiner Mann sprang auf den Bürgersteig, als habe sich das Pub urplötzlich abgesenkt. Er schwankte auf eine Art, die vermuten ließ, dass er an der frischen Luft nicht in seinem Element war, und Harkness begriff, dass er das von seinem Vater so genannte „pint of no return“ bereits intus hatte. (…) Ein Stück weiter auf einer Bank saß der kleine Mann aus dem „Corn Exchange“. Seine Taschen hatte er auf die Bank ausgeleert, und jetzt plauderte er leise mit Glasgow. Harkness konnte das meiste hören. „Immer schön alles bezahlen. Das ist das Geheimnis. Die Welt schuldet dir keinen Unterhalt. Oh nein. Hier irgendwo. Muss doch da sein. Die Fahrscheine bitte. Uddington, wir kommen. Gerade noch rechtzeitig …“.“

 

Das härteste an McIlvanneys Glasgow sind die Männer. Manche sind einfach nur schweigsame Väter. Manche sind Gangster.  Fast alle sind Säufer. Manche sind katholisch, andere haben Krebs, und der jugendliche Killer bekämpft sein Coming Out im Park. Dabei stirbt ein Mädchen.  Glasgow in den Siebzigern ist kein Ponyhof.  Unbedingter Lesetipp.
Als die Leiche einer jungen Frau im Kelvingrove Park in Glasgow gefunden wird, beginnt für Detective Jack Laidlaw ein tödlicher Wettlauf mit der Zeit. Denn in dieser Stadt voll harter Männer, mächtiger Gangster und skrupelloser Geschäftemacher ist nicht nur der charismatische Detective auf der Suche nach dem Mörder. Hier will sich keiner die Geschäfte verderben lassen, hier haben die Gangster einen eigenen Begriff von Moral und hier schweigen die Väter und sinnen nach Rache. Und Jack Laidlaw weiß, dass er den Mörder zuerst finden muss, wenn er einen weiteren Mord verhindern will … William McIlvanneys Romane um den legendären Ermittler Jack Laidlaw sind in Großbritannien schon lange Kult und gehören schlicht zum Besten, was Kriminalliteratur zu bieten hat.

Die Gefährderin – eine dystopische Fingerübung

Noir ist mein Lieblingsgenre, New York mein Lieblingsort – und das ist meine Neuentdeckung des letzten Jahres:

http://www.amazon.de/2-14-Dewey-Decimal-Roman-Nathan-Larson-ebook/dp/B00VTPINMW/ref=sr_1_fkmr0_3?ie=UTF8&qid=1429039543&sr=8-3-fkmr0&keywords=Dewie+Decimal+Larson

14. Februar: Am Valentinstag ist New York durch eine Serie von Anschlägen zerstört worden. Die Bevölkerung ist dezimiert, die Behörden sind korrupt, außer Kontrolle geratene bewaffnete Einheiten haben die Macht übernommen. Dewey Decimal, der letzte Verwalter der New York Public Library, bewahrt Stil und Haltung, auch wenn er bis an die Zähne bewaffnet ist. Er war einmal Soldat, mehr weiß er nicht, denn seine Erinnerung ist manipuliert. Seine Fähigkeiten zu kämpfen und zu töten sind optimiert. Sein Sinn für Gerechtigkeit und seine Neurosen haben System. Und sein Sinn für Sprache und Witz ist ein weiterer Bestandteil seines Waffenarsenals.
Als er von der Stadtverwaltung auf eine osteuropäische Gang angesetzt wird, beginnt ein Trip durch die apokalyptische Stadtlandschaft, bei dem sich mafiöse Verstrickungen bis in höchste Regierungskreise offenbaren. Mit Dewey Decimal werden die Leser in rasantem Tempo durch die Handlung gejagt, als befänden sie sich in einem Ego-Shooter-Szenario, in dem nichts ist, wie es scheint. Eine sprachmächtige, in die Zukunft geworfene Erneuerung des »Noir«.

Ein absoluter Lesetipp. Lesen Sie das Original. Und zur Einstimmung ein Versuch von mir, denselben Ton zu treffen:

„Es ist der zweite Sommer nach den Ereignissen vom 20. März. Dank eines riesen Etats für den »nationalen Wiederaufbaupakt« fährt die U-Bahn wieder. Ich steige am ehemaligen Bundeskanzleramt aus und gehe direkt in die Zentrale. Der warme Sprühregen schwächt den Gestank nach brennendem Plastik aus den Müllgruben im Tiergarten ab. Auch die Spree kann man riechen. Die brodelnde Brühe steht bis knapp unter Straßenniveau. Manchmal fließt sie rückwärts. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Ich arbeite für die Justiz, in der Zufuhr des Krematoriums. Kremierer haben nach dem 20. März viel zu tun. Krisenfester Job und warm im Winter. Bezahlt wird in Naturalien, Multivitamintabletten und Emergency Food 2.0. Ein Proteinriegel mit 2.000 Kalorien und einer Mindesthaltbarkeit von 15 Jahren. Wir backen ihn zwischen den Einäscherungen. Der Generator für die Öfen läuft eh. Die Kraftwerke haben am 20. März einiges abbekommen, also brauchen wir die Abwärme der Krematorien als Prozesswärme. Wir von der Zufuhr müssen ständig für Nachschub sorgen: Obdachlose, Gendefekte, Alte, Gefährder.
Ich setze mich vor meine Monitorwand und seh die Updates des Staatsanwalts durch. Vor der Gedächtniskirche hat jemand die Regenbogenfahne gehisst. Seit einer Woche bin ich an einer Gefährderin dran. Radikalisierte Anarchistin, normalgewichtig, rotwangig, rothaarig. Hoher Brennwert. Auf den Glauben an die Herrschaftslosigkeit steht die Verbrennung. Die Akte der Frau ist mit »Zippo« getaggt: finden, identifizieren, einäschern.
Ich weiß, die Frau ist irgendwo in den Trümmerfeldern der City. Ich suche mit der automatischen Gesichtserkennung in den Livestreams von über 3.000 Überwachungskameras. Glückstag. 22 Sekunden bis zum Treffer. Die Frau trägt etwas aus einem geborstenen Kaufhausfenster. Um sicher zu gehen, scanne ich ihre DNA. Sofort erscheinen auf meinem Bildschirm alle Organ. Bay Auktionen, für die sie zur Verwertung infrage käme. Sie ist A positiv, ihr Körper 3 Billiarden Reichsbits wert. Schöne Augenfarbe. Die Netzhaut allein bringt ein Vermögen. Die Gebote fliegen ein. Wow. Ich blocke ihren Datensatz in der Kartei. Wer zuerst kommt, kassiert zuerst. Ich ziehe ihren Personalausweis ein. Das ist meine Chance, von hier wegzukommen.
Auf den Kameras sehe ich, wie die Frau Sachen an eine Gruppe ausgemergelter Kinder verteilt. Ich markiere sie mit einen GPS-Chip. Die Frau zuckt zusammen, schaut sich verwirrt um. Ich setze das EEG-Headset auf und starte eine Napper-Drohne, Tarnkappen-Modus. Kameraauge an. Logge die GPS-Daten ein, denke die Drohne auf 1000 ft und vorwärts. Durch den Staub über den Ruinen der Bürgerhäuser am Ku’Damm. Flugdenken macht Spaß. Ich weiche den Kuba-Flamingos aus, die auf dem KaDeWe nisten. Ich denke die Drohne herunter auf 300 ft, der Auto-Napper rastet ein. Ich lehne mich zurück.
Die Frau fährt auf und rennt. Immer rennen sie. Nie haben sie eine Chance. Die Frau flankt über Trümmer, Treppen runter, U-Bahn Wittenbergplatz, Decke eingestürzt. Die Drohne summt in meinem Kopf. Das Headset scannt mein Emotionszentrum, sucht die passende Musik. Zum ersten Mal seit Monaten Walzer, André Rieu. Das ist unanarchistisch.
Die Drohne stellt die Frau in einer Ecke. Trotzig starrt sie in die Kamera.
Auf meinen Bildschirm blinkt »Gefährderin erfasst – Zippo aktivieren?«
Wenn ich den Knopf drücke, ist sie Flugasche und der Staatsanwalt glücklich. Wenn ich sie auf Organ.Bay einstelle, bin ich reich und glücklich. Ich erinnere mich an irgendetwas. Ein Gefühl. Ich weiß nicht, wie es heißt, aber das Gefühl hat mir gut getan damals. Ich stehe auf. Ich lösche die Akte, setze das Headset ab und gehe.“

 

Lernen durch Schmerz

Man liest ja allerhand. Das ist ein bißchen wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.  Ich habe mir zum Beispiel eine ganze Kiste gebrauchte Chandlers bei einem bekannten modernen Internetantiquariat besorgt. Da lese ich mich gerade durch. Teilweise erschreckend, wie nachlässig das übersetzt wurde:

„Das sollte nur ’n Witz sein“, sagte sie. „Aber ich hoffe zu Gott, dass es da genug Blondinen gibt, wo er jetzt ist. Hier hat er die Nase nie voll kriegen können von diesen billigen Flittchen.“

(aus: Lebwohl, mein Liebling)

Das steht da echt. Also keine Spur von Lektorat, und das war 1976. Das schmerzt, aber man lernt daraus, dass das auch keine neumodische Erscheinung ist. Gibt natürlich auch Auswüchse. In einem „Dr. Norden“-Heftchenroman las ich letztens denselben Satz zweimal hintereinander. Aber das ist natürlich eine andere Liga.

Durch eine Verlagsabsage kam ich auf Simone Buchholz‘ Krimireihe um die Hamburger Staatsanwältin Chas Riley. Das ist ein wirklich polarisierendes Buch. Mir gefiel das stilistisch wirklich sehr gut, erster Satz:  „Der Himmel sieht so auch, als müsse er sich gleich wieder hinlegen.“ Oder so ähnlich. Ich kann gerade nicht nachschauen. Ich habe in den letzten Jahren kein Buch so oft verborgt wie dieses. Die einen sagen, ich kann diese kurzen Sätze nicht ab. Präsens und ich-Innenperspektive, das geht gar nicht.  Die anderen sagen, die kann wirklich schreiben. Was ich persönlich komisch fand: Der Titel hat meines Erachtens nichts mit dem Inhalt zu tun.  Und ca. auf Seite 200 kommt plötzlich so eine Art Status der seelischen Verfassung aller Figuren. Oder ist es ein Stück Figurenentwicklung? Man weiß es nicht. Aber da lerne ich draus, dass man mehr machen kann, als man glaubt. Nicht immer nur stormlinienförmig Richtung Markt schielen, authentisch sein bringt einfach mehr Zufriedenheit. Natürlich lesen einen dann nicht alle. Aber will man das? Besser, die einen verstehen, lesen einen. Würde ich mir jedenfalls wünschen.

Und dann habe ich noch etwas gelesen, das mir empfohlen wurde: Bruno, Chef de police. War mir erstmal schon sympathisch, weil wir mal einen sehr netten Hund hatten, der so hieß. Martin Walker ist kein Franzose, schreibt aber über ein Dorf im Périgord. Und das macht er so: tell, tell, tell:

„Sein dichtes dunkles Haar war kurz geschnitten, die braunen Augen blickten verschmitzt, und die vollen Lippen unter dem sorgfältig gestutzten kleinen Schnauzbart lachten sichtlich gern.“

Nix show, wie man es ja nach gängiger Schreiblehre heutezutage tun sollte. Und á la Patricia Cornwell hat Walker auch noch gleich  noch ein Kochbuch draußen. Soll man nun generell keine Autoren lesen, die zu ihrer Krimireihe ein Kochbuch nachschieben? Oder selbst schonmal ein Kochbuch im Plot anlegen? Letzteres. Leider hat mein Detektiv im Kühlschrank nur weißes Licht und Zitronengraspaste. Das wäre mal eine Herausforderung. Titelidee: „Kochen mit Licht“.

Jedenfalls, der Walker geht weg wie geschnitten Brot. Trotz tell. Und ich habe ihn durchgezogen, obwohl das nicht meinen Lesegewohnheiten entspricht. Bin auf Seite 328 mit einer coolen Szene belohnt worden: Nach einer exquisiten Liebesnacht steht der chef de police nackt in seinem Garten am Misthaufen und pinkelt zusammen mit seinem Jagdhund synchron auf den Mist. Beifall kommt von der Geliebten, aber auch von mir. Magnifique! Eine Perle von einer Szene.

Fazit: 1) Jeder Topf findet seinen Deckel. Das macht mir als Schreiberling Mut. Und 2) Auch mal gegen den eigenen Geschmack lesen, selbst wenn es schmerzt. Man hat einen viel analytischeren Blick beim Lesen, und man kann immer etwas lernen darüber, wie andere es machen. Wie man es auch machen könnte. Wenn man könnte

 

Unter der Sonne der Toten

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Jones und er verließen den „Admiral Van Sand“ am alten Pier eine halbe Glase nach Mitternacht. Ein paar Möven flogen schreiend auf, als sie die Kaimauer entlang gingen. Während sie auf die Kutsche warteten, schloss Charles seinen Uniformmantel gegen die nasse, scharfe Kälte. Es roch nach Salz und verdorbenen Muscheln. Im Licht der Gaslaterne sah er, wie der Schmied aus einer Seitengassse auf sie zu kam.
„Mylord.“ Der Schmied nickte knapp. Das Gaslicht warf zuckende Schatten auf sein bärtiges Gesicht. Charles neigte den Kopf. Ein guter Mann. Er kannte ihn seit seiner Kindheit. Der Schmied hatte den Säbel gemacht, der in den Schützengräben der Kolonien von Neuengland unter ihm zerbrochen war. Gottverdammt. Die Ränder seines Bewußtseins färbten sich rot. Er sog die Nachtluft ein, rang die blutigen Bilder nieder. Abgerissene Gliedmaßen, das Geräusch der Knochensäge, so nah, als zerrisse sie sein eigenes Fleisch. Er fixierte die Lichter der in den Fenster der Häuser, zwang sich, an nichts zu denken, nichts, das war eine große warme Schwärze, die nirgendwo anfing und nirgendwo aufhörte.
Eine offene Kutsche, gezogen von einem klapperdürren Maultier, hielt unter der Gaslaterne. „Kommt, Sir.“ Charles spürte Jones‘ Hand auf seiner Schulter. Während er einstieg, wanderte sein Blick über das dunkle Hafenbecken. Es war Ebbe, und die Fischerboote lagen auf der Seite wie die schweren Körper der Seelöwen, der er vor Neufundland gesehen hatte. Von Osten würde Sturm aufziehen. Wolkenfetzen gaben einen silbernen Vollmond frei. „Die Sonne der Toten,“ fluchte der Schmied. Viel zu hell. Charles nickte. Aber es mußte heute Nacht sein, in diese Nacht mit der Ebbe zur dunkelsten Stunde. Der Kutscher lachte und schlug gnadenlos auf das halb verhungerte Maultier ein. Die Kutsche schoß vorwärts. Charles kannte den Kutscher, einen buckliger Krüppel mit schloweißem Haar und einem verbeulten Zylinder. Morris, der Gehilfe des Totengräbers vom Mevagissey. Niemand, den man sich als Begleiter auf seinem letzten Weg wünschte. Charles warf Jones einen skeptischen Blick zu.
„Der Mann kennt den Weg,“ brummte der Verwalter des Heligan-Estates und zog sich den Hut ins Gesicht.
„Ist er loyal?“ Charles hatte Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen.
Jones grinste. „So loyal wie Eure Lordschaft großzügig sind,“ sagte er.
Sie ließen die letzten Cottages von St. Ives hinter sich. Morris nahm die Straßen auf den Klippen. Die Federn der Kutsche knarzten, das Maultier keuchte. Fledermäuse schossen über die schwarzen Hecken, die die Straße gegen das Hochmoor begrenzte. Plötzlich schrie Morris auf, prügelte das Maultier rechts von der Straße. Die Kutsche schwankte auf eine Gruppe niedriger Bäume zu. Dort sprang der Alte vom Bock. Zwischen den Bäumen sah Charles eine Gruppe Findlinge im Mondlicht. Morris schlug einen Feuerstein gegen den Fels und entzündete eine Fackel. Zwischen den Steinen erschien ein junges Mädchen.
„Ah! Da! Der Eingang!“ Morris lachte, ein schreckliches, trockenes Bellen.
Das Mädchen mußte die Tochter des Alten sein. Erstaunlich, dachte Charles. Sie war recht gefällig, trug ein Spitzenhäubchen und einen Umhang, der etwas aus der Mode schien. Sie mußte sehr mutig sein, ein Mädchen allein auf den Klippen in dieser stürmischen Nacht. Ihre Haut leuchte im Mondlicht wie chinesisches Porzellan über einer Kerzenflamme. Morris grunzte und führte die Männer durch die Steine zum verborgenen Eingang des Tunnels. Charles ging als Vorletzter, nur noch gefolgt von dem Mädchen. Seine Hand schloss sich um den Griff seines Dolches.
„Die Schmuggler benutzen den Tunnel nur bei Ebbe,“ erklärte der Alte, der mit der Fackel vorweg hinkte. Seine heisere Stimme hallte von den feucht schimmernden Felswänden wieder. „Bei Flut liegt der Tunnel zur Hälfte unter Wasser.“
Der Weg führte nach unten, mal war er breit wie eine Überlandstraße, mal nicht mehr als ein Felsspalt, der sich um sie zu schließen schien.
„Gespenstisch,“ murmelte Jones, als sie ein paar rostige, in die Wand getriebene Ringe passierten.
Morris lachte höhnisch. „Keine Bange, Sirs. Hier geht’s tatsächlich um, aber keine Bange, der alte Pete hat noch keinem nach dem Leben getrachtet. Jedenfalls nicht, seit er selbst tot ist.“
„Piraten-Pete.“ Der Schmied verhielt und zog seinen Hammer aus dem Gürtel. „Keine Geschichte, die man in den State Rooms von Heligan Hall erzählt, nicht wahr?“
Charles spürte seine Kehle eng werden. Er schüttelte den Kopf.
Morris lachte meckernd und spuckte aus. „War’n Hundsfot, der alte Piraten-Pete. Hat seine Crew auf einer Südsee-Insel zum Sterben zurückgelassen. Aber mit Gottes Hilfe haben sie’s geschafft und sind wieder zurück nach England. Haben Pete in St. Ives gefunden, der wohnte gerade seinem Liebchen bei. Haben die beiden hier unten angekettet, bis sie die Flut geholt hat. Ein paar Tage soll man sie noch schreien gehört haben.“ Morris schnäuzte sich. „Schade um die Kleine. Konnte ja nichts dafür.“
Schweigend gingen sie weiter. Charles hörte, wie das Wasser an den Tunnelwänden heruntertropfe, hörte das Knirschen ihrer Schritte, das schwere Atmen der Männer vor ihm. Hinter ihnen war nichts als finstere Leere, er spürte sie so massiv wie einen Eisblock auf seinen Schultern. Dann machte der Tunnel einen scharfen Knick, und für einen Moment war es vollkommen dunkel. Da. Eine Kette klirrte in der Schwärze hinter ihnen. Das Mädchen schrie auf, klammerte sich an Charles‘ Arm.
„Verdammt will ich sein,“ zischte Jones vor ihm.
Ketten schliffen über Fels. Ein hohes Seufzen aus der Tiefe des Ganges. Charles‘ Rücken brannte als schäle ihm ein rostiger Stahl die Haut ab. Die Männer fluchten und stürzten vorwärts. Charles folgte blindlings dem weißen Haarschopf, der schwankenden Fackel. Er spürte seinen Körper nicht mehr, nicht das Stolpern seiner Füße, eine Biegung und noch eine, sein Herz schwoll und schien seine Brust sprengen zu wollen, und dann sah er es, das Mondlicht, den Bogen des Tunnelausgangs, wie einen schwarzen Regenbogen am Ende des Ganges. Sekunden später prallten die keuchenden Männer vor dem rostigen Gatter aufeinander, das den Ausgang verschloß. Dahinter schimmerte das Watt mattsilbern und endlos weit.
„Beeilt Euch, Morris!“ presste Charles hervor. Der Alte stieß den Bart eines riesigen Schlüssels in das rostige Schloß. Gequält rieb Eisen auf Eisen. Dann schwang das Wehr auf. Charles stürzte ins Freie. Seine Lungen wollten platzen, er wollte sich die Kleider vom Leibe reißen und weiterrennen, immer weiter, hinaus ins Meer. Das Geräusch des Eisentores, das der alte Morris hinter ihm zuwarf, brachte ihn wieder zusich.
„Da war noch jemand hinter mir,“ stieß er heiser hervor. „Das Mädchen. Eure Tochter.“
Das Gesicht des Alten verzog sich zu einer teuflischen Fratze. „Ah, Mylord, aber nein! Ihr wart der Letzte, die ganze Zeit, ich habe genau darauf geachtet. Sehr mutig, Sir, sehr mutig!“
Ein eisiger Windhauch aus der Tiefe des Tunnels fuhr über Charles‘ Gesicht. Er straffte sich, schlug den Kragen seines Mantels hoch. Es war ein Weile her, dass sich eine Frau schreiend an ihn geklammert hatte. Und wie es aussah, würde das auch so bald nicht wieder geschehen.
„Sir! Hier herüber, Sir!“ hörte er Jones schreien. „Hier ist es!“ Der Verwalter war in die Klippen geklettert und zeigte auf einen Spalt in der Felswand.
„Kommt.“ Dem Schmied legte ihm die Hand auf die Schulter.
Sie hatten das Schmugglernest gefunden, jetzt würden sie tun, was zu tun sie gekommen waren.

 

Das ist ein Krimi-Blog: Sie haben ein Recht auf einen Mord!

Hier kommt eine Leseprobe aus Liberty Vale Teil 2, Mord Nr. 2 (so, und wer diese Idee klaut, der muss mit allem rechnen):

P_G_FHBII-P_F_#SALL_#AID_#V2Die Nacht von Sonntag auf Montag. Kaplan beobachtet den Wecker. Dann dämmert er weg, träumt, jemand will ihn von hinten erdrosseln. Er schüttelt ihn ab, dreht ihn um, sieht das Gesicht: Er ist es selbst.
Um halb drei wecken ihn Katzenkotzgeräusche aus der Küche. Mechanisch nimmt er die Stabtaschenlampe vom Nachtisch, wischt er im Dunkeln gallig-gelbe Breckies zusammen. Bringt es nicht über sich, das Licht anzumachen. Nicht deswegen.
Kaplan legt die Taschenlampe auf den Küchentisch, setzt sich. Die Lampe rollt ein wenig hin und her, der Lichtpunkt taumelt über die Wand. Kaplan raucht. Hört auf das Knistern des verglimmenden Tabaks. Starrt die Nacht an. Die Katze sitzt neben dem Stuhl, gelbäugig, in ihren Schwanz gewickelt, und schweigt.
Kurz nach drei. Auf dem Küchentisch schüttelt sich Kaplans Handy. Eine SMS vom Stanzki: »Zweite Leiche. Sofortobduktion. Komm hin.«
Kaplan drückt die Zigarette in den vollen Ascher. Das Deckenlicht schmerzt. Augen wie Stichwunden. Er rasiert den abgewrackten Vampir, den er im Spiegel sieht. Auf dem Weg zum Auto wirf er die Katzenkotze in die Mülltonne. Ob Passivrauchen Katzen schadet?
Das helle Licht und die Sachlichkeit in der Pathologie machen Kaplan endgültig wach. Benito Stanzki ist schon da, der neue Arzt auch. Dr. Arentz. Und knallwach ist der.
»Mal was anderes!«, strahlt er und zeigt auf die Leiche.
Die liegt auf dem Bauch, den Hintern voller blauer Flecken. Und aus dem Arschloch ragt eine Klobürste. Halber Stiel und Bürste. Sieht aus wie ein Witz.
»Wer ist das?«, fragt Kaplan.
»Oliver Schwarz«, sagt Stanzki. »Der Makler.«
Am Anfang seiner kriminellen Laufbahn, denkt Kaplan, sollte man ein Praktikum als Gerichtsreporter machen. Da hört man, was es alles schon gibt, was sich nicht lohnt und was man nochmal versuchen könnte. Polizisten beißen zum Beispiel kommt oft vor und bringt nichts. Klobürste im Arsch hat Kaplan noch nie gesehen. Macht Eindruck.
»Ziehen Sie das Ding raus«, sagt er zu Arentz. »Sonst fang ich an zu lachen.«
Der schüttelt den Kopf. »Sehen Sie hier direkt am Schließmuskel das Graue? Das ist nach erster Analyse Verbundankermörtel.«
»Muss ich das goggeln?«
»Zweikomponetenmörtel für Schwerlastdübel. Das Zeug ist in Glaspatronen, die wie Reagenzgläser aussehen, gefüllt mit Harz, Härter und Quarzsand. Der Täter hat ihm die Patrone in den Anus gesteckt und ihm so lange in den Hintern getreten, bis das Glas zerbrochen ist. Dann hat er ihm die Klobrüste reingerammt und gewartet, bis der Mörtel aushärtet. Das dauert so ’ne halbe Stunde.«
»Muss tierisch wehgetan haben«. Stanzki windet sich.
Kaplan will rauchen, unbedingt. »Wie lange ist das her?«
»Das mit dem Mörtel, vielleicht einen Tag. Gestorben ist er daran nicht. Sondern erstickt, an dem Montageschaum, den wir in Mund und Nase gefunden haben.«
»Da war einer sauer.« Kaplan sieht Stanzki an.
Stanzki zuckt die Schultern. »Handwerker? Oder Klofrau?«
»Witzig.« Arentz schiebt Kaplan beiseite. »Jetzt präpariere ich Ihnen erstmal den Darm.«
Kaplan wirft ein Nikotinkaugummi ein. Irgendetwas Offensichtliches stimmt hier nicht. Mit Nikotin kann er besser denken. »Wer macht sowas, Stanzki?«
»Mieter, die er schikaniert hat«, sagt Stanzki. »Investoren, denen er Schrottimmobilien angedreht hat. Handwerker, die er nicht bezahlt hat.«
Kaplans Gehirn liegt ihm im Kopf wie ein Sack Zement. Dann weiß er plötzlich, was dem ganzen Arrangement fehlt: die Ernsthaftigkeit. »Wo habt ihr ihn gefunden?«
»Nordgraben. Hing in den Büschen.«
»Ich glaube, wir suchen zwei Täter«, sagt Kaplan. »Der mit der Klobürste, der Witzbold, der wollte unserem lieben Herrn Schwarz nur wehtun. Dann kam der zweite Täter hinzu, nutzt die Gunst der Stunde und gibt ihm mit dem Bauschaum den Rest.«
»Also Klofrau und Handwerker?«
Der Fall passt zu Kaplan wie Katzenkotze auf kandierte Ananas. Benito Stanzki auch. Aber Kaplan kann weder singen noch tanzen, und irgendeinen Job muss er machen.